Ganze 83.098 meldepflichtige Unfälle entfielen 2021 nur auf den Themenkomplex Förder-, Transport- und Lagereinrichtungen. Weitere 21.425 Unfälle waren im Zusammenhang mit PKW und LKW zu beklagen. Zusammen waren das 14,3 Prozent aller Arbeitsunfälle – und es kamen 74 Menschen zu Tode.Â
Nicht alles hiervon gehörte explizit zur Logistik. Durch ihre Natur dürfte sie hieran jedoch einen erheblichen Anteil gehabt haben – etwa bei den 16.429 Unfällen, die allein im Zusammenhang mit Lagerzubehör auftraten.
Viele dieser Unfälle waren zweifelsohne vermeidbar. Entweder, wenn die entsprechenden Vorgaben beachtet oder die Mitarbeiter besser geschult gewesen wären. Insbesondere mit Hinblick auf die Wirkung eines jeden Unfalls auf das Firmenimage und die Fachkräftegewinnung, sollte sich daher jeder Logistiker darüber im Klaren sein, wie wichtig es ist, ein insgesamt sicheres Arbeitsumfeld zu haben. Die dafür wichtigsten Positionen zeigen wir jetzt. Frei nach dem berühmten Industriellen Werner von Siemens:
„Die Verhütung von Unfällen ist nicht eine Frage gesetzlicher Vorschriften, sondern unternehmerischer Verantwortung und zudem ein Gebot wirtschaftlicher Vernunft.“
#1 Buchstabengetreues Befolgen der Gesetze und Vorgaben
Seitdem das Preußische Regulativ anno 1839 erlassen wurde und erstmalig Kinderarbeit einschränkte, hat der Arbeitsschutz eine sehr lange Entwicklung durchlaufen. Eine Entwicklung, bei der oft genug erst Unfälle geschehen mussten, um Nachbesserungsbedarf zu erkennen.
Was deshalb heute an Vorgaben gilt, darf getrost als die zusammengefassten Erfahrungen von fast 200 Jahren Industriegeschichte betrachtet werden. Es sind daher keine Regularien, die von praxisfernen Theoretikern aufgestellt wurden, sondern allesamt Dinge, die direkt auf praktischen und vielfach leidvollen Erfahrungen fußen. Nehmen wir die Vorgaben zur Kennzeichnung von Maschinen. Die dahinterstehenden Normen sowie zu verwendenden Farben, Grafikelemente, Beschriftungen und nicht zuletzt Anbringungsorte sind allesamt direkt von Arbeitsunfällen beeinflusst und von wissenschaftlichen Analysen, wie diese künftig zu verhindern seien.
Was von all diesen Regularien im Logistikbereich gilt, ist so umfangreich, dass es den Rahmen dieses Artikels bei Weitem sprengen würde. Deshalb an dieser Stelle nur die wichtigsten Vorgaben:
- Das grundsätzliche Vorschriften- und Regelwerk der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV).
- Die Vorgaben aus dem Fachbereich Handel und Logistik der DGUV.
- Die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) und ähnliche Regularien aus der Hand der Berufsgenossenschaft Handel und Warenlogistik (BGHW).
- Die Paragraphen 30 und 31 der Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO), die Paragraphen 22 und 23 der Straßenverkehrsordnung (StVO), ferner Paragraph 412 des Handelsgesetzbuchs (HGB).
- Die Richtlinie VDI 2700 des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI).
All diese Werke gehen letzten Endes auf entsprechende Bundesgesetze zurück. Sie sind entweder deren normierte, detailgetreue Umsetzung oder Werke, die bei einer solchen Umsetzung behilflich sind. Sie buchstabengetreu zu erfüllen, ist eine Bringschuld eines jeden Unternehmens – sich selbst und seinen Mitarbeitern gegenüber. Nicht, weil es bei Nichterfüllung nach Unfällen zu Strafen kommen könnte.
#2 Fach- und sachgerechtes Schulen der Mitarbeiter
Basierend auf den verschiedenen Vorgaben gilt in ausnahmslos jedem Logistikbetrieb und jedem darin ausgeübten Beruf eine eherne Gesetzesregel:Â
- Jeder Mitarbeiter, der neu in die Firma kommt, muss im Rahmen einer Erstunterweisung mit Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz unter den betrieblichen Voraussetzungen bekanntgemacht werden.Â
- Jeder Mitarbeiter muss ferner mindestens einmal jährlich basierend auf dem Arbeitsschutzgesetz erneut unterwiesen werden.Â
- Ferner ist eine solche Unterweisung immer dann vorgeschrieben, wenn sich Aufgabenbereiche ändern oder neue Betriebsmittel/Technologien eingeführt werden.
Zwar ergeht aus den entsprechenden Vorgaben, zu welchen Themen Mitarbeiter unterwiesen werden müssen – jedoch nicht mehr. In der Praxis lässt das eine leider gefährliche Lücke: Die Qualität der Unterweisungen und somit deren Wirksamkeit kann extrem schwanken; je nachdem, wer sie wie durchführt.
Eine schlechte, langweilige Unterweisung erfüllt sicherlich die gesetzlichen Nachweispflichten. Allerdings ist sie absolut nicht zielführend. Ähnlich wie ein Virenschutz, der installiert, aber dauernd abgeschaltet ist.
Damit die Mitarbeiter stattdessen wirklich etwas lernen, was der Sicherheit maximal zuträglich ist, gibt es nur zwei Optionen:Â
Einmal angenommen, im Lager ist das Tragen von Sicherheitsschuhen vorgeschrieben. Da es vorgeschrieben ist, muss der Arbeitgeber die Schuhe bereitstellen und finanzieren. Jetzt gibt es zwei Optionen:
- Es werden günstige Stiefel angeschafft, die nur die geforderte Schutzklasse erfüllen, aber weder hochwertig noch langlebig sind.
- Es werden teure Stiefel angeschafft, die neben dem Schutz einen hohen Grad an Ergonomie liefern. Überdies werden nicht nur unterschiedliche Fußlängen bei der Anschaffung berücksichtigt, sondern ebenso Fußbreiten.
Im ersten Fall könnte es durchaus zu Situationen kommen, in denen Mitarbeiter eigenmächtig diese Schuhe nicht tragen, weil sie schlicht unbequem sind. Etwa in der Nachtschicht, in der es bekanntermaßen fast überall weniger stringent zugeht – oder am Steuer eines LKW. Natürlich, bei einem Unfall würde der Mitarbeiter die Schuld tragen. Allerdings liegt es durchaus auf der Hand, wie sehr hier die eigentliche Schuhwahl wirkte.
#3 Sicherheit angenehm machen
Dieses Beispiel lässt sich weit über das Thema Schutzbekleidung hinaus anwenden. Stets steht dahinter eine Maxime: Alles, was die Sicherheit fördert, sollte maximal bequem, komfortabel und den Arbeitsabläufen zuträglich sein, statt sie zu behindern. Je weniger Sicherheit als Hürde oder Störung empfunden wird, desto bereitwilliger machen alle mit – Sensibilisierung in Bestform.
Dazu sollte es nicht zuletzt gehören, Wahlmöglichkeiten zu lassen – etwa, wenn Bund- oder Latzhosen und bei heißen Temperaturen mitunter sogar entsprechende Shorts getragen werden dürfen. Hier sollte der Sicherheitsgedanke weit vor der Corporate Identity stehen.
#4 Eine Kultur des Ansprechens etablieren
Viele Menschen neigen dazu, bei der Arbeit den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen. Mitunter kommen noch persönliche Erfahrungen hinzu – und manchmal Unwille zur Veränderung. Nicht immer handelt es sich hierbei um arbeitssicherheitsrelevante Dinge, allerdings oft genug.Â
Insbesondere dort, wo Vorgesetzte weit weg sind, kann ein solches Verhalten monate-, sogar jahrelang existieren, bis es bei der unpassenden Verkettung von Umständen in einem Arbeitsunfall mündet.Â
Vorgesetzte können nicht überall sein. Und wenn sie es sind, können sie nicht bei jedem Mitarbeiter auf jedes Detail von korrektem Verhalten achten. Insbesondere deshalb sollte im Logistikbetrieb eine Kultur des Ansprechens etabliert werden:
- Auf jeder einzelnen Ebene in sämtlichen Abteilungen.
- Beidseitig ohne Ansehen von Standing, Abteilung und Dauer der Betriebszugehörigkeit.
- Sowohl auf positives als auch negatives Verhalten bezogen.
Im Zweifelsfall sollte demnach jeder jeden auf richtiges und falsches Verhalten hinweisen –selbst wenn es ein Azubi im zweiten Ausbildungsjahr ist, der einen erfahrenen Kollegen darauf hinweist, dass es auf dem Stapler besser wäre, einen Helm zu tragen.
Allerdings darf dies keinesfalls als Versuch gegenseitiger „Bespitzelung“ wahrgenommen werden. Allen Beteiligten muss klar sein, wie wichtig und richtig derartiges Verhalten ist. Denn wer sich unsicher verhält, kann einen Arbeitsunfall auslösen, unter dem alle zu leiden haben; womöglich sogar für immer gezeichnet.Â
Daher muss korrektes Verhalten niemals als Selbstverständlichkeit wahrgenommen, sondern ebenso hervorgehoben werden. Schon nach kürzester Zeit entwickelt sich in Kollegenkreisen daraus ein selbsterziehender Effekt.Â
#5 Vorbildfunktionen ausüben
Der Firmenbesitzer trägt bei seinem morgendlichen Hochregallagerrundgang stets nur seine schimmernde Glatze statt eines Helmes. Die Lagerleiterin vergisst, wenn sie aus ihrem Büro kommt, viel zu oft, die Clogs gegen Sicherheitsschuhe zu tauschen. Und der Azubi im letzten Lehrjahr zeigt seinen jüngeren Kollegen nur allzu gern, wie man mehr Pakete mit weniger Touren durch die Halle tragen kann und warum der Hubwagen bei Leerfahrten ein ausgezeichneter Roller ist.
Derartige Dinge sind in unterschiedlichen Ausprägungen in sehr vielen Logistikunternehmen alltägliche Realität. Vorgesetzte und Führungskräfte verhalten sich bewusst oder unbewusst nicht arbeitssicher – und kommunizieren so rasch eine fatale Botschaft.
Das Umgekehrte sollte der Fall sein: Jeder im Haus, der eine Vorbildfunktion hat, sollte diese auch und gerade beim Thema Arbeitssicherheit geradezu ostentativ ausfüllen. Denn wenn „der Chef“ sich schon nicht korrekt verhält, sehen viele Mitarbeiter keinen Grund, es anders zu tun.
Zusammengefasst
Die Vorgaben rund um das Thema Arbeitssicherheit und Gesundheit aus leidvoller Erfahrung sind sehr umfassend und praxisnah. Sie können jedoch niemals alle Eventualitäten berücksichtigen und jedes Detail minutiös vorschreiben.
Daher liegt es an jedem einzelnen Betrieb, seine Mitarbeiter für diese Themen zu sensibilisieren und zu ständiger Wachsamkeit zu animieren. Ein Großteil der Arbeitssicherheit hängt von jedem Einzelnen ab – und kann nicht delegiert werden.